Tech & Literature 2020Rezension von Katharina Erler

In ihrem Werk „Digitale Ethik“ zeigt Sarah Spiekermann anhand ihrer eigenen Erfahrungen im Silicon Valley sowie als Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, dass ein menschengerechter digitaler Fortschritt nur erreicht werden kann, wenn die negativen Wertfolgen der Digitalisierung begrenzt werden. 

Durch das Beispiel einer App für einen Essens-Lieferdienst wird dem Leser klargemacht, wie die Digitalisierung in vielen Bereich durch das historisch geformte Verständnis von Fortschritt (neu = gut) und reines Effizienzdenken geprägt ist. Geschäftsmodelle konzentrieren sich auf technische Einzelheiten statt auf negative Wertfolgen für die Beteiligten im System (Fahrradkuriere, Mitarbeiter und Kunden). Werden solche Geschäftsmodelle jedoch mit einem Bewusstsein für Wertpotentiale analysiert, so Spiekermann, lassen sich werteorientierte Maßnahmen identifizieren und echte Wertversprechen für die Kunden generieren. Für diese wertorientierte Analyse greift Spiekermann auf ethische und philosophische Ansätze zur Entwicklung menschlicher Tugend, utilitaristische Abwägung und Ausprägung ethischer Maximen zurück. Daraus folgert sie, dass beispielsweise die Privatsphäre, Gesundheit oder Sicherheit höhere Werte darstellen als Effizienzsteigerung oder Gewinnmaximierung.

Um diese Werteordnung auf die digitale Welt anzuwenden, beleuchtet Spiekermann die Eigenschaften des digitalen Stoffs und dessen Wechselwirkungen mit unseren Werten. Die Unvollständigkeit und Fehleranfälligkeit des digitalen Stoffs, so Spiekermann, führen in Vergleich mit der menschlichen Natur zu falschem Vertrauen, kraftraubendem Kommunikationsverhalten, dem Entzug von Lebens- und Denkenergie und Suchtverhalten. Spiekermann zeigt auf, dass das Denken in Modellen, die die digitale Welt bestimmen, zum Problem wird, weil diese die Realität nur unvollständig abbilden können. Außerdem herrsche in den technischen Eliten das Bild des fehlbaren Menschen vor, das technische Neuerungen wie die künstliche Intelligenz auf ein falsches Podest hebe.

Im nächsten Schritt stellt Spiekermann Überlegungen an, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann: Negative Werte müssten erkannt und vermieden werden. Spiekermann fordert angesichts des Informationsüberflusses eine neue Berufsgruppe der „Hüter des Wissens“, die Jahrhunderte altes, regionales Erfahrungswissen teilen. Auch sollte das Digitale so gestaltet werden, dass der Wert der Freiheit geschützt und ausgebaut werde. „Ethics by Design“, wertvolles Technikdesign, sollte nach Spiekermann gesetzlich vorgeschrieben werden.

Spiekermann schließt an diese Überlegungen drei Schritte an, mit denen jeder Einzelne – beruflich wie privat – zum menschengerechten Fortschritt beitragen kann. Hierzu müsste man laut Spiekermann ein Wertebewusstsein entwickeln, ein tiefes Verständnis für die Priorisierung von Werten aufbauen und sich im Alltag wertvolle Gewohnheiten aneignen. 

Kernthesen:

  • Die unvollständige und fehleranfällige Natur des digitalen Stoffs, das Denken in Modellen und in Effizienzmaximen sowie die Prägung eines negativen Menschenbilds sind Gründe dafür, dass die Digitalisierung negative Wertfolgen, wie den Verlust von Freiheit, Würde oder Sucht, auslösen kann.
  • „Ethics by Design“, wertvolles Technikdesign, sollte gesetzlich vorgeschrieben werden, um menschengerechten Fortschritt politisch zu unterstützen.
  • Jeder Einzelne kann zum Fortschritt der digital durchdrungenen Gesellschaft beitragen, wenn er – beruflich wie privat – ein Wertebewusstsein entwickelt, ein tiefes Verständnis für die Priorisierung von Werten aufbaut und sich wertvolle Gewohnheiten aneignet.